Anmerkungen zu einem historischen Datum, das der 22. Januar 2021 sein könnte.
Ich hatte auch so einen Aufkleber auf meinem alten R4 seinerzeit. Neben dem Heuchelschild „100km/h“ (das Auto fuhr sowieso nur bergab schneller) war das mit den Atomwaffen ernstgemeint. Heute habe ich gar keine Aufkleber mehr auf meinem Auto. Aber das mit den Atomwaffen ist geblieben, wie der Wahnsinn auch.
Der 22. Januar 2021 könnte als historisches Datum in die Geschichte eingehen. Heute tritt der im Jahr 2017 von UNO-Vollversammlung beschlossene „Atomwaffenverbotsvertrag“ (AVV) in Kraft. Zwei Tage nach der Amtseinführung von Joe Biden, der mit seiner beeindruckenden Rede deutlich gemacht hat, dass Versöhnung ein zentrales Thema seiner Amtszeit sein soll, sind die Chancen für Fortschritte hin zur Ächtung aller Art von Atomwaffen freilich alles andere als rosig. Die Verantwortung dafür liegt neben der starren Haltung der Atommächte und solchen, die es werden sollen, auch in der starren Haltung vor allem Russlands und der NATO. Aber auch das ist nur ein Aspekt. Deutschlands Rolle ist darin ebenso zwielichtig wie fadenscheinig. Engagiertes Eintreten für Abrüstung hat bisher noch keine Regierung erkennen lassen, auch die gegenwärtige nicht.
In Coronazeiten ist es schwer, andere überlebenswichtige Fragen in den Mittelpunkt zu rücken. Vergessen scheint längst zu sein, dass die Initiative „Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen“(ICAN) 2017 mit dem Friedensnobelpreis geehrt wurde. Der Kampf um ein neues Instrument internationalen Rechts, dass nicht nur die Verbreitung, sondern die Entwicklung, den Besitz, die Stationierung und natürlich jedwede Anwendung von Atomwaffen umfassend verbietet, wurde von Anfang an zerredet und scheint ideologisch festgefahren. Dabei müsste allen klar sein, dass der „Nichtverbreitungsvertrag“ (NVV), sich ebenfalls in einer Sackgasse befindet. Es ist also Zeit für ein weitergehendes, völkerrechtlich verbindendes Instrument. Dabei sind nicht naiv, die das fordern, sondern alle, die sich dem schlicht verweigern. Sie nähren zugleich den Verdacht, dass andere Interessen wichtiger scheinen.
Es gibt natürlich auch Gründe für Kritik an dem heute in Kraft tretenden Abkommen. Ein Abkommen muss klare Regeln und Sanktionen bereithalten, wie sie im Laufe der Zeit für das NVV durch viele Instrumente errichtet wurden. Doch dies ist ja genau die Herausforderung, vor der angesichts der Unwirksamkeit des NVV jetzt alle stehen. Während die Bundesregierung mantrahaft behauptet, der heute in Kraft tretende Vertrag würde gar „zu einer realen Schwächung internationaler Abrüstungsbemühungen im nuklearen Bereich führen“ (Staatssekretärin Antje Leendertse), widerspricht ihr der eigene Wissenschaftliche Dienst des Bundestages. Dieser hält nämlich die Regelwerke durchaus miteinander vereinbar und beschreibt detailliert das vorhandene Entwicklungspotential. Da bleibt wohl schlicht festzuhalten: Es fehlt wieder einmal der Wille, energisch und zielgerichtet den Einsatz für ein weltweites Atomwaffenverbot voranzubringen.
Der 22. Januar könnte ein historisches Datum werden. Wir sollten alles dransetzen, dass er es wird.
Herne, den 22. Januar 2021 Martin Domke