Dieser Aufruf spricht uns Berater*innen in der Flüchtligsberatung im Eine Wewlt Zentrum aus der Seele und findet große Unterstützung und Anerkennung. Wenn wir anfangen die Flüchtlinge in erste und zweite und gar noch dritte Klasse zu kategorisieren, dann widerspricht das komplett unserem verfassungsrechtlichen Leitgedanken, dass alle Menschen gleich sind. Der Unmut unter den gleichfalls von Krieg und Gewalt, Hunger und Verfolgung Betroffenen anderer Staaten, bei allem Verständnis für die Ukrainer*innen, wächst. "Warum dürfen die sofort arbeiten, ich aber muss warten bis mein Aufenthalt eine Arbeitsaufnahme vorsieht.?", "Warum bekommen die Wohnungen, und ich darf nicht aus dem Asylheim ausziehen.?!", das sind nur einige der noch immer sehr vorsichtig geäußerten Fragen in der Beratung.
Wir dürfen nicht zulassen, dass es zu Machtkämpfen zwischen den Menschen kommt, die in Deutschland um Hilfe nachsuchen. Lasst uns die positiven Erfahrungen aus der Arbeit mit den Flüchtlignen aus der Ukraine nutzen und transferieren in die Arbeit mit all den anderen Geflüchteten. Wir unterstützen daher die Sachanalyse und die Forderungen des hier folgenden Aufrufes vollumfänglich:
"Die unterzeichnenden Organisationen stellen mit wachsender Sorge die aktuelle Ungleichbehandlung geflüchteter Menschen fest. Sie fordern Bund und Land auf, die guten Erfahrungen, die derzeit bei der humanitären Aufnahme und Integration von ukrainischen Staatsangehörigen gemacht werden, die aufgrund des russischen Angriffskrieges gegen ihr Land zur Flucht gezwungen wurden, auch auf andere Geflüchtete zu übertragen.
Erfreulich ist: Die Aufnahme von ukrainischen Staatsangehörigen ist geprägt durch eine an Humanität und der Förderung von Integration in Bildung und Arbeit ausgerichtete Flüchtlingspolitik. Die ukrainischen Staatsangehörigen erfahren offene Grenzen, Ausnahmen von der Visapflicht, um einen rechtmäßigen Aufenthalt zu ermöglichen, direkte Erteilung humanitärer Aufenthaltserlaubnisse, die weitgehend freie Wahl des Aufenthaltsortes innerhalb der EU, die Möglichkeit der sofortigen Unterbringung in privatem Wohnraum statt in Sammellagern, umfängliche soziale Hilfen und einen unmittelbaren Zugang zu Integrationskursen, zum Arbeitsmarkt und zum Studium. All dies wird anderen Geflüchteten verwehrt.
Dabei könnte die Art und Weise der Aufnahme ukrainischer Staatsangehöriger der Anfang eines Deutschlands, eines Europas sein, das sich die Wahrung der Men-schenrechte von Schutzsuchenden nicht nur auf die Fahnen schreibt, sondern konk-ret umsetzt.
Stattdessen müssen wir eine starke Ungleichbehandlung zwischen den "einen" und den "anderen" Geflüchteten erkennen. Die "einen", das sind aus der Ukraine geflüchtete ukrainische Staatsangehörige; die "anderen", das sind Menschen, die aus ande-ren Regionen dieser Erde in Deutschland Schutz vor Krieg und Gewalt suchen und diejenigen Ukraine-Flüchtlinge, die eine andere als die ukrainische Staatsangehörig-keit besitzen oder der Rom*nja-Minderheit angehören.
Während für die "einen" – so wie es für alle Menschen auf der Flucht selbstverständlich sein sollte – Grenzen und Türen geöffnet werden, bekommen die "anderen" weiterhin die volle Härte der deutschen und europäischen Abschreckungs- und Abschottungspolitik zu spüren.
Während die "einen" teilweise mit Bussen an der Grenze abgeholt werden und in Deutschland kostenlos mit der Bahn fahren durften, müssen die "anderen" mangels sicherer und legaler Fluchtwege weiter ihr Leben zum Beispiel bei der Überfahrt über das Mittelmeer oder in den weitläufigen Wäldern Belarus riskieren.
Während die "einen" größtenteils direkt in privaten Unterkünften untergebracht werden, müssen die "anderen" monate- oder jahrelang unter isolierenden und zum Teil menschenunwürdigen Bedingungen in Sammellagern von Land und Kommunen in Nordrhein-Westfalen ausharren.
Während die "einen" alle Leistungen des Sozialstaats in Anspruch nehmen können, erhalten die "anderen" lediglich eingeschränkte Sozialleistungen und haben keinen Regelzugang zu den Leistungen der Sozialgesetzbücher.
Während die "einen" bei der Eingliederung in Kita und Schulen sowie bei der Arbeitsaufnahme massiv unterstützt werden, sehen sich die "anderen" fortlaufend Hürden gegenüber, bis hin zu Arbeitsverboten.
Während die "einen" bei Ausländerbehörden schnell einen Termin bekommen, warten die "anderen" oft monatelang auf eine Vorsprachemöglichkeit. Viele müssen sich trotz mangelnder Rückkehrmöglichkeit über Jahre von Duldung zu Duldung hangeln.
Auch bei den aus der Ukraine Geflüchteten wird in die "einen" und die "anderen" unterschieden. Für die "anderen", hier die Drittstaatsangehörigen mit befristetem Aufenthalt in der Ukraine, die als Studierende, Arbeitnehmer*innen oder nicht anerkannte Flüchtlinge in der Ukraine lebten, gelten die oben genannte Rechte nicht. Dies macht deutlich, dass es bei der "Vorzugsbehandlung" ukrainischer Geflüchteter nicht um Fluchtgründe geht.
Diese Ungleichbehandlungen müssen ein Ende haben! Die positiven Ansätze und Erfahrungen bei der Aufnahme von ukrainischen Geflüchteten müssen genutzt werden, um die Zugangsmöglichkeiten nach und die Lebenssituation in Deutschland und NRW für alle Geflüchteten zu verbessern.
Eine wirklich humane Flüchtlingspolitik darf nicht zwischen den "einen" und den "anderen" unterscheiden. Alle müssen die menschenwürdige Behandlung erfahren, auf die sie als Menschen ein Recht haben.
Wir fordern von Land und Bund
- eine Evaluierung der im Rahmen der Schutzgewährung und Aufnahme aus der Ukraine gemachten Erfahrungen,
- die Gestaltung sicherer und legaler Zugangswege nach Deutschland und NRW, zum Beispiel über umfängliche Aufnahmeprogramme,
- für alle Geflüchteten die Gewährung von Leistungen nach den Sozialgesetzbü-chern, also die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes,
- positive Auslegungshilfen durch Landesvorgaben zu ausgrenzenden Bundesge-setzen, zum Beispiel bei der Ausgestaltung des humanitären Aufenthaltsrechts,
- die Einbeziehung aller Geflüchteten in die Integrationspolitik und -maßnahmen des Bundes und Landes, wie Zugang zu den Integrationskursen oder in NRW zu den Maßnahmen des Teilhabe- und Integrationsgesetzes.
Wir appellieren an die nordrhein-westfälische Landesregierung, von diesen Gestal-tungsmöglichkeiten im Interesse der Gleichbehandlung aller Geflüchteter im Land Gebrauch zu machen und sich beim Bund entsprechend einzusetzen."
Links zur Veröffentlichung:
Internetmeldung zum Aufruf: Aufruf: Menschenwürdige Aufnahme für alle Schutzsuchenden | Freie Wohlfahrtspflege NRW (freiewohlfahrtspflege-nrw.de)
Aufruf: 2022-10-21_Aufruf-Gleichbehandlung-gefluechteter-Menschen.pdf (freiewohlfahrtspflege-nrw.de)
Gemeinsame Pressemeldung: 2022-10-21_PM_Aufruf-Gleichbehandlung.pdf (freiewohlfahrtspflege-nrw.de)