So einfach ist das also: Frieden suchen und ihm nachjagen. Die Bibel ist manchmal von einer fast naiven Schlichtheit. „Wenn es dir gut gehen soll: Dann suche den Frieden und jage ihm nach!“ Die anderen Ratschläge an dieser Stelle: Erlaube deinem Mund keine boshaften Reden, halt dich vom Bösen fern und tue Gutes.
„Amen“. So sagen manche ja zynisch, wenn jemand fromme Sprüche klopft. Das Dumme daran ist: in dieser Schlichtheit liegt offenbar so alte und belastbare Erfahrung, dass wir sie noch immer weitergeben. So bleibt diese schlichte Aufforderung Teil, vielleicht sogar der entscheidende Teil der Lösung.
Schwer zu glauben. Frieden ist schließlich nicht einfach zu machen. Aber es ist offenbar eine der tiefsten Sehnsüchte der Menschen, im Frieden zu leben. Im jüdisch-christlichen Kontext heißt das Wort dafür „Schalom“. Es meint das miteinander geteilte Leben. Leben, das sich in Gemeinschaft mit anderen und der Natur entfalten kann, für alle, Leben, das auf Zukunft ausgerichtet ist und Gott als Schöpfer und Vollender allen Lebens ehrt. So einfach?
Alles, zumindest sehr viel spricht dagegen. Wir sind stolz oder auch dankbar, je nachdem, für über 70 Jahre Frieden in Deutschland. Europa kann man schon nicht mehr sagen, denn der Völkermord in Serbien und Kosovo ist auch erst gerade mal 20 Jahre her. Aber politische Kräfte verschieben sich wieder. Gewalt gegen Andersdenkende, nationalistische, islam- und judenfeindliche Parolen zeigen bis in so genannte gebildete Milieus, auch in den Kirchen, wieder ihre Anziehungskraft und – der Ruf nach dem Volk ist wieder zu hören! Das ist keine Schwarzmalerei, sondern Alltag in Deutschland und Europa.
Der Friede ist bedroht, mehr denn je. Auch dort, wo wir es gar nicht direkt sehen: Wenn eine junge Mutter zwei oder drei schlecht bezahlte Hilfsjobs annehmen muss, weil sie anders nicht überleben kann, oder wenn ein Familienvater in irgendeinem Paketdienst ausgebeutet wird, dann dürfen wir uns nicht wundern, dass diese Menschen von der Gemeinschaft nichts mehr erwarten und sich die Wut irgendwann entlädt. Weit über 2 Millionen Kinder leben in Deutschland von Harzt IV – auch das ist eine Kriegserklärung der Wohlhabenden gegen eine wehrlose Gruppe, die gleichzeitig als unsere Zukunft beschworen wird.
Frieden geht nur, wenn ihn alle genießen können. Daran erinnert die Jahreslosung. Der Satz: „Suche den Frieden und jage ihm nach“ ist übrigens der Auftakt zu mehr: Gottes Augen blicken auf die, die nach seinem Willen leben – und er hört ihr Schreien. Gott sieht und hört dorthin, wo wir nichts sehen und oft nicht hören wollen: Die viel leiden, wird er, Gott, befreien.
Da bleibt die Frage: Was investieren wir für den Frieden, der alle meint? Wenn das eigene, private Leben, das wir so gerne verschlossen halten, diesem Ziel dienen soll: „Suche Frieden und jage ihm nach!“, dann sind wir offenbar zu Größerem berufen. Ich selbst soll mitwirken an dem Frieden, der schon da ist.
Wenn ich nur einen Moment in mich hineinhöre, wo es Augenblicke gab, von denen ein tiefes Wissen ausging, dass das Leben in Ordnung ist, dann sind es meistens diese Zeiten, von denen eine ungeahnte Kraft ausgeht. Das hat mit Frieden zu tun. Es ist wichtig, dass wir dies immer wieder tun: Uns erinnern an das, was das Leben schön und stark gemacht hat. Es sind niemals nur Momente, wo wir mit uns allein sind, sondern jene manchmal eben buchstäblichen „Augen-Blicke“, in denen wir zusammen wachsen oder stehen, in denen die Zukunft aufleuchtet; die anders ist, heller und weiter, schöner und kräftiger als der Alltag, etwas was über uns hinaus wächst und uns Menschen zu Menschen macht. Das ist Friede – und noch viel mehr.
Darum ist es keine Übertreibung zu sagen: Friede ist das größte Geschenk! Gerade weil er meistens so unverfügbar ist, in aller Regel sogar bedroht und unsichtbar, darum sind die wenigen Momente, in denen er sich einstellt diejenigen, von denen wir zehren, manchmal ein Leben lang. Er ist sozusagen der Bruder der Liebe. Beide sind und bleiben ein unverdientes, manchmal unverhofftes Geschenk, das uns stark und zu Menschen macht. Für beide aber gilt ebenso: Suchet sie und verfolget sie mit aller Eurer Kraft.
Pfr. Martin Domke