Niemand kann den Kirchen vorwerfen, sie hätten im ersten Lockdown ihre Leute im Stich gelassen. Der überwiegende Teil der Gemeinden und ihrer Mitglieder hat eine faszinierende Vielfalt und Phantasie an den Tag gelegt und damit klargestellt: Die Kirchen sind zwar geschlossen, nicht aber unser Herz und unser Wille, anderen zu zeigen: Wir sind für Euch da!
Nun rückt ein zweites Mal der richtige Lockdown näher, die Zahlen gehen nicht herunter, die Pandemie wird immer unkontrollierbarer. Es ist müßig darüber zu spekulieren warum das so ist. Das führt nicht nur zu nichts, sondern vertieft am Ende noch Gräben. Schuldzuweisungen bringen noch weniger ungeachtet aller Notwendigkeit, den Coronaleugner-Gruppen, Querdenkern und Neonazis den Kampf anzusagen, ohne Wenn und Aber.
Die Aufgabe der Kirchen ist es immer gewesen, im Leben der Menschen da zu sein. Denn der als Kind geborene Retter, wie ihn die Tradition beschreibt, ist ja zu nichts anderem gekommen: um im Leben der Menschen da zu sein. Ich finde es gänzlich unanständig, in dieser Zeit sich auf die Kritik an der Kirche einzuschießen, was deren Gegenwart vor Ort unter Coronabedingungen betrifft. „Kirchenbashing“ nennt man das zu neudeutsch (z.B. Evelyn Finger in der ZEIT im Mai). Die Pfarrerinnen und Pfarrer vor Ort haben sich überwiegend bemüht, gemeinsam mit vielen Ehrenamtlichen, da zu sein. Sie haben so viel drangesetzt mit den Leuten zu leben und Kontakt zu halten, wo immer möglich.
Aber jetzt ist die Zeit da, zu sagen: Unser ureigenes Interesse, nämlich Weihnachten zu feiern, so schön und für so viele wie möglich, das ist weit weniger wichtig als die Gemeinschaft im Lockdown. Keine Privilegien, für keine Religion, das ist jetzt das Zeichen der Vernunft. In der schwersten Krise seit dem 2. Weltkrieg geht es nicht um die Kirchen, es geht um unser aller Sicherheit und Zukunft. Wir haben gerade angesichts der Müdigkeit gegenüber allen Maßnahmen und dem Schweren, das sie mit sich bringen, an der Seite derer zu stehen, die das kaum noch aushalten.
Keiner braucht jetzt Weihnachtsgottesdienste, aber wir alle brauchen die Zeichen von Zuwendung, die uns einfach sagen: Ich finde das auch unerträglich, aber wir schaffen das zusammen! Warum nicht viele Hotlines schalten, für Ältere, damit sie anrufen können? Warum nicht alles dransetzen, etwas in die Briefkästen der Umgebung zu werfen? Wir haben genügend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die das machen können. Und noch viel mehr haben viel bessere Ideen als die hier genannten.
Ich habe bewusst nicht von den digitalen Sachen gesprochen. Die gibt es ja sowieso in Millionenauflage, und wer darin etwas Tröstliches findet, der hat’s gut! Aber so viele wissen zur Zeit ja gar nicht wo sie suchen können, um etwas Nahrhaftes für die Seele zu finden. Viele werden verrückt in ihren eigenen vier Wänden. Wir auch! Und wir leiden genauso! Die Kirchen zu öffnen, selbst unter Coronabedingungen, ist da ganz gewiss kein gutes Zeichen. Es zeigt, dass wir im Grunde nicht verstanden haben, worum es geht. Nicht wir sind wichtig, auch nicht die Institution Kirche und nicht ihre Öffentlichkeit, sondern es allein wichtig, was unsere Mitmenschen im Ort wirklich brauchen, vor allem die Schwächsten.
Wir treten in eine äußerst kritische Phase ein. Der Impfschutz ist da, aber noch nicht verfügbar. Gleichzeitig sollen wir trotz aller Hoffnung nochmal so richtig eingesperrt werden. Das ist hart. Aber jetzt die Kirchen selbst unter Corona-Bedingungen offenhalten? Das wäre ein fatales Signal, in die Richtung gehend: „Guckt mal, bei uns ist alles nicht so schlimm“. Es ist aber schlimm, in den genauso coronageschützten Bereichen wie Kino, Theater, Gastronomie und anderen. Bei uns soll das also gehen, was woanders jetzt nicht mehr geht? Das ist eben keine Solidarität, und auf die Religionsfreiheit zu verweisen, zieht hier gerade nicht. In Abwandlung des bekannten Rosa-Luxemburg-Wortes muss jetzt klar sein: Freiheit ist immer auch die Freiheit der Anderen! Kirchlicher Egoismus wäre genau das Gegenteil. Der ist zwar in Maßen notwendig, aber in diesem Kontext schlicht – unchristlich. Die Freiheit zur Wiedereröffnung unserer Kirchen wäre nur mit den anderen Kulturstätten ein gutes Zeichen. Aber noch sind die Kirchen ja offen. Es ist Zeit zu sagen: Macht sie dicht! Uns bleiben immer noch so viele Möglichkeiten. Nutzen wir sie, mit den anderen.
Martin Domke Herne, den 30.11.2020